Das Beschneidungs-Urteil des Landgerichts Köln und seine Bedeutung für die Schweiz

Die religiös motivierte Beschneidung oder Zirkumzision an nicht einwilligungsfähigen Jungen stellt eine strafbare Körperverletzung dar. Zu diesem Schluss gelangte dieser Tage das Landgericht Köln (das Urteil im Wortlaut), das sich als erstes deutsches Gericht mit dieser Frage auseinanderzusetzen hatte. Das Gericht wertete das Recht auf körperliche Unversehrtheit des Kindes und dessen Selbstbestimmungsrecht höher als das Erziehungsrecht der Eltern und deren Recht auf Religionsausübung.

Wie ist die Rechtslage in der Schweiz?

In Deutschland wurde eine vertiefte Diskussion der religiös motivierten Jungenbeschneidung erst vor wenigen Jahren u.a. durch Holm Putzke und Rolf Dietrich Herzberg angeregt; Putzke hat sich seither in verschiedenen Beiträgen zum Thema geäussert. In der Schweiz war die Jungenbeschneidung in der juristischen Diskussion bislang kaum ein Thema (als Ausnahme: Beatrice Giger in: forumpoenale 2012, 95 ff., die zu den gleichen Schlüssen kommt wie hier [vgl. unten Literatur]).

Es ist davon auszugehen, dass die Überlegungen des LG Köln auf die Schweiz übertragbar sind. Auch das schweizerische Strafgesetzbuch betrachtet einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit eines Menschen, wie ihn die Beschneidung (als Abschneiden eines gesunden Teils des Penis) zweifellos darstellt, mindestens als strafbare einfache Körperverletzung (StGB 123), sofern der Eingriff nicht durch Einwilligung, medizinische Indikation oder einen anderen Grund gerechtfertigt ist. Wird die Tat an einem Kind begangen, handelt es sich überdies um ein Offizialdelikt und ist von Amtes wegen zu verfolgen.

Primär stellt sich also die Frage, ob ein Rechtfertigungsgrund vorliegt, welche die Strafbarkeit der Jungenbeschneidung ausschliesst. Eine Einwilligung des Kindes selbst kommt erst in Frage, wenn es die Konsequenzen der Beschneidung in körperlicher, gesundheitlicher und insbesondere sexueller Hinsicht tatsächlich selber abschätzen und beurteilen kann. Dies dürfte vor dem 16. oder gar 18. Altersjahr kaum der Fall sein. Für die religiös motivierte Beschneidung liegt sodann regelmässig keine medizinische Indikation vor (z.B. eine Vorhautverengung, welche allerdings selten ist [vgl. Beobachter vom 18. Februar 2011, 64 f.]), weshalb diese beiden Rechtfertigungsgründe entfallen, selbst wenn die Eltern in den Eingriff einwilligen.

Als wichtigste mögliche Rechtfertigungsgründe werden allerdings meist das religiöse Erziehungsrecht der Eltern und ihre Glaubens- und Gewissensfreiheit, insbesondere ihr Recht auf Glaubensbetätigung vorgebracht. Diese Rechte müssen allerdings mit dem Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit, den Risiken des Eingriffs (jeder chirurgische Eingriff kennt Risiken, von Blutungen bis zu tödlichen Infektionen) und seinem Recht auf Selbstbestimmung abgewogen werden. Zwar «verfügen» die Eltern über die religiöse Erziehung ihrer Kinder, doch hat das Kind das Recht, nach dem 16. Altersjahr selber über seine Religionszugehörigkeit zu entscheiden (ZGB 303). Dieses Selbstbestimmungsrecht wäre zu einem guten Teil illusorisch, wenn das Erziehungsrecht der Eltern die irreversible körperliche Zeichnung der Kinder hinsichtlich ihrer Religionszugehörigkeit beinhalten würde. Dies ist genauso wenig legitim und ein Verstoss gegen das Kindswohl, wie es auch etwa eine religiöse Erziehung wäre, die einer Gehirnwäsche des Kindes gleichkommt. Die Eltern haben bei der religiösen Erziehung ihrer Kinder in jedem Fall eine vernünftige Zurückhaltung walten zu lassen.

Ebenso kann das Recht auf Glaubensbetätigung nicht so weit gehen, dass dabei die körperliche Unversehrtheit einer anderen Person (d.h. des Kindes) ohne ihren Willen irreversibel beeinträchtigt wird (insofern besteht zwischen der Beschneidung und einer Taufe ein grundlegender Unterschied). Das Recht auf Glaubensbetätigung gibt dem Einzelnen nur das Recht, eine weltanschauliche Überzeugung «allein oder … mit anderen zu bekennen», nicht aber diese Überzeugung «an anderen» auszuüben.

Es wird oft vergessen (oder nicht verstanden), dass Grundrechte der individuellen Person zukommen und nicht (religiösen) Gruppen als solchen (dies höchstens als Reflexwirkung der individuellen Rechte), d.h. die Beschneidung von Kindern ist nicht das Recht einer bestimmten religiösen Gruppe, sondern es hat die Glaubens- und Gewissensfreiheit der einzelnen Gruppenmitglieder ihre Grenzen in den Rechten der anderen Personen (auch der anderen Mitglieder der Gruppe).

Im Zentrum der Beurteilung steht also das Recht des Einzelnen, selber über seinen Körper verfügen zu können und – als Rückseite der Münze – vor Eingriffen anderer in seine körperliche Integrität geschützt zu sein. Dies ist, man kann es nicht genug betonen, eines der zentralsten und wichtigsten Menschenrechte.

In der FAZ wurde dies treffend ausgedrückt: «Eine Kultur oder eine Religion, die eine regelmäßige Körperverletzung von Minderjährigen, insbesondere von zur persönlichen Abwehr Unfähigen im Programm hat, steht in einem Dauerkonflikt mit wesentlichen Zielen der Verfassung – und zwar umso tiefgreifender, je freiheitlicher und säkularer der Staat ist.»

Deshalb haben die behaupteten oder angeblichen präventiven gesundheitlichen (und sexuellen) Vorteile der Beschneidung für die hier gemachten Überlegungen nur sekundäre Bedeutung. Jeder nicht medizinisch notwendige Eingriff ist aufzuschieben, bis sich der volljährige und urteilsfähige Mann selber für den Eingriff entscheiden kann, sollte er sich denn dafür überzeugen lassen (was erfahrungsgemäss bei den wenigsten der Fall ist, woraus auch Folgerungen zu ziehen wären).

Weiterführende Information zur Beschneidung:


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